Beitrag Mensch&Tier

Freitag, 26. April 2013

Ein Epilepsie-Warnhund schafft Lebensqualität

Sie war Anfang 20, als der erste Anfall sie überraschte. Während ihrer Arbeitszeit stürzte die Betroffene plötzlich zu Boden, ihre Augen verdrehten sich nach oben, der ganze Körper zuckte und krampfte. Sie litt unter Atemnot, ihr Gesicht lief bläulich an, in ihrem Mund bildete sich Schaum.

An den Anfall selbst hat die Betroffene keine Erinnerung – wohl aber an die Folgen, die die Diagnose Epilepsie bei ihr auslöste. Dazu zählen ein Schädelbruch, eine Woche im künstlichen Koma, der Verlust ihres Arbeitsplatzes, depressive Verstimmungen und der völlige Rückzug aus dem Sozialleben.


Wie die Krankheit ihr Leben veränderte und nur durch ihren ausgebildeten Epilepsie-Warnhund erträglich wurde, schilderte die Betroffene 15 Jahre nach dem ersten Anfall im Rahmen einer qualitativen Einzelfallstudie der Universität Flensburg. Der Psychologe Prof. Dr. Armin Castello und die Sonderpädagogin Carina Wendorff bewerteten ihre Beschreibungen mithilfe eines Analyserasters und der daraus entstandenen Datenmatrix.

„Epilepsie- bzw. Anfallwarnhunde, die in der Lage sind, einen nahenden epileptischen Anfall noch vor dessen Beginn anzuzeigen, können die Lebensqualität Betroffener verbessern“, resümiert Prof. Castello in seiner Auswertung der Fallstudie, die in der Fachzeitschrift „tiergestützte“ veröffentlicht wurde.

Weniger Anfälle durch den Warnhund

Zum Zeitpunkt des Interviews hatte die Betroffene bereits seit sechs Jahren einen Anfallwarnhund. Obwohl sie trotz der täglichen Einnahme von elf Medikamenten jederzeit damit rechnen muss, einen Anfall zu erleiden, habe sich ihr Leben durch den Hund in vielerlei Hinsicht zum Positiven verändert: Das Tier zeigt ihre Anfälle mittlerweile etwa fünf bis fünfzehn Minuten im Voraus an.

So kann sich die Patientin darauf vorbereiten, eine Notfalltablette nehmen und beispielsweise spitze Gegenstände aus ihrer Umgebung entfernen, um Verletzungen beim Fallen vorzubeugen. Durch seinen guten Orientierungssinn könne der Hund sie nach einem Anfall sicher nach Hause leiten, auch wenn sie selbst sich nicht mehr sicher orientieren kann.

„Durch die überwiegend zuverlässige Warnung vor einem Anfall wird zweierlei erreicht“, erläutert Prof. Castello. „Die als sehr belastend erlebte Unkontrollierbarkeit der epileptischen Anfälle kann erheblich vermindert werden, sekundäre Schwierigkeiten wie Verletzungen werden kontrollierbarer. Durch das ‚Warnen’ des Hundes stellt sich zudem eine Reduktion der Anfallshäufigkeit ein, da eine präventive Medikation ermöglicht wird.“

Hund verschafft neue soziale Kontakte

Dank dieses neuen Sicherheitsgefühls durch den Hund war es der Betroffenen möglich, weniger ängstlich ihre Wohnung zu verlassen und bei ihren täglichen Spaziergängen mit dem Hund soziale Kontakte zu knüpfen. Sie werde dadurch selbstsicherer, weniger gestresst und fühle sich insgesamt wohler, berichtete die Patientin während der Interviews. Ihr Zustand verbesserte sich so stark, dass sie sogar wieder in Teilzeit arbeiten konnte.

Vom Welpen zum Epilepsie-Warnhund                                                Etwa drei bis vier Prozent aller Menschen erkranken Schätzungen zufolge im Laufe ihres Lebens an Epilepsie – das sind allein bis zu 3,2 Millionen Deutsche. Manche Hunde können dank einer angeborenen Fähigkeit das Entstehen eines epileptischen Anfalls erkennen (Mensch & Tier 01/2012) – vermutlich durch den veränderten Geruch eines Menschen aufgrund einer Hormonausschüttung. Zeigt ein Tier die Neigung, drohende Anfälle zu melden, kann es mit dem richtigen Training lernen, ein Telefon (siehe Foto) und Medikamente zu holen oder mit der Schnauze eine Notfalltaste zu drücken. Andere Hunde machen durch andauerndes Bellen auf den Anfall aufmerksam oder holen Außenstehende zur Hilfe. Die Ausbildung dieser Hunde, die extrem belastbar und stresstolerant sein müssen, erfolgt individuell gemäß den Bedürfnissen des Patienten. Seit Mitte der 1990er Jahre werden in den USA Untersuchungen dazu durchgeführt, in Deutschland liegen laut Prof. Castello bislang keine kontrollierten Studien vor.

Weitere Informationen:
Universität Flensburg
Prof. Dr. Armin Castello
E-Mail: armin.castello@uni-flensburg.de