Beitrag Mensch&Tier

In der Evangelischen Kinder-, Jugend- und Familienhilfe in Würzburg erhalten Kinder mit psychischen Erkrankungen tierischen Beistand. Foto: iStock/Lisa5201

Dienstag, 03. Januar 2023

Vertrauensaufbau mit wilden Katzen

Die Evangelische Kinder-, Jugend- und Familienhilfe der Diakonie Würzburg setzt seit über 20 Jahren auf tiergestützte Interventionen. Pferde, Hunde, Kaninchen und Hühner sind hier im Einsatz – und seit Kurzem mit großem Erfolg auch wildlebende Katzen.

Andy lebt im geschlossenen Bereich der Jugendhilfeeinrichtung der Diakonie Würzburg. Der Junge hängt besonders an der alten und gebrechlichen Therapiebegleitkatze Loretta. Als das Tier stirbt, ist seine Trauer groß. Auch die anderen Kinder vermissen die alte Katze. So liegt es für die Fachkräfte für tiergestützte Interventionen bei der Diakonie nahe, ein neues Projekt mit Katzen zu beginnen, als eine wildlebende Katze auf dem Gelände der Jugendhilfe Junge zur Welt bringt.

„Katzen gelten häufig als distanziert und eigen, daher ist ihr Einsatz weniger planbar“, sagt Margit Dittrich, die pädagogische Leitung der Erziehungsstellen. Bereits im Jahr 2000 hat sie begonnen, tiergestützte Interventionen für die kleinen Heimbewohner zu etablieren. Heute sind zahlreiche Tierarten vom Pferd bis zum Huhn regelmäßig im Einsatz. „Im Gegensatz zum Hund sprach man Katzen lange Zeit die Bindungsfähigkeit zum Menschen ab. Weit gefehlt, würde ich heute sagen!“

Die Katze erleichtert das Reden

Drei lange Wochen füttern Andy und andere Kinder im Wechsel die Mutterkatze und warten auf die Katzenbabys. Dabei lässt Andy viele Gespräche zu, die andernorts kaum möglich sind: Das Reden falle ihm dort leichter, sagt er. Um weiterhin die Katze besuchen zu dürfen, verhält er sich in seiner geschlossenen Wohngruppe entsprechend sozial kompetent.

Nach wochenlangem Warten tauchen vier Katzenbabys auf. Andy und weitere Kinder dürfen mithelfen, die wilden Kätzchen zu versorgen. Dabei werden viele Fähigkeiten gefördert, die wichtig für den Heilungsprozess sowohl der Kinder als auch der Katzen sind: zuverlässiges Versorgen, ruhiges Warten und Beobachten, nonverbales Verhalten lesen lernen oder Empathie entwickeln.

Schnelle Lernerfolge bei den Kindern

Heute sind die meisten der Katzenkinder zahm, verspielt und auf ihre jugendlichen Versorger geprägt. „Die Ankunft und das Zähmen der Katzen war eine äußerst bewegende Zeit“, sagt Dittrich rückblickend. „Jeden Nachmittag durften einzelne Kinder im Wechsel spielen, füttern und damit zähmen. Die Begegnungen mit den Kätzchen fanden so stets angeleitet statt, die Katzenkinder machten ausschließlich positive Erfahrungen im Kontakt mit dem Menschen.“

Auch bei den Kindern zeigen sich überraschende Lernerfolge. „Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Auffälligkeiten und psychischen Erkrankungen mussten sich geduldig zeigen, sich langsam bewegen, sehr ruhig sein und sich absprechen“, berichtet Dittrich. „Alle waren sehr motiviert, unseren Fachkräften genau zuzuhören und ihre Anleitungen zu befolgen.“ Die Gespräche im Katzenhaus waren für die Betreuer Höhepunkte der Pädagogik. Ganz von selbst eröffneten sich verschiedene Themen: die Trennung von der Familie, Heimweh, Angst und Mut in neuen Lebenssituationen. Momente der Übertragung wechselten mit biografischen Erinnerungen an Tiere zu Hause.

Umzug in eine offene Wohngruppe

So hat Andy nicht nur den kleinen Katzen, sondern auch sich selbst zu einem neuen Leben verholfen: Dank seiner großen therapeutischen Fortschritte ist er inzwischen in eine offene Wohngruppe umgezogen.

Diakonie Würzburg l Margit Dittrich l margit.dittrich@web.de l www.main-tier.de