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Freitag, 04. April 2025

Das Tier kommt bei Obdachlosen zuerst

In Deutschland leben immer mehr Menschen ohne feste Wohnung, viele halten Tiere. Das birgt Herausforderungen: Das Leben auf der Straße zehrt an der Gesundheit, zugleich gibt es kaum Zugang zu medizinischer Versorgung. Ob den Obdachlosen das gesundheitliche Wohl der Tiere wichtiger ist oder ihr eigenes, das haben US-amerikanische Wissenschaftler untersucht.

Tag und Nacht auf der Straße, vielleicht mal eine Übernachtung auf der Couch bei Freunden oder in kommunalen Unterkünften: Aktuell sind geschätzt mehr als 500.000 Menschen in Deutschland wohnungs- oder sogar obdachlos. Viele von ihnen gehen mit einem Tier an ihrer Seite durchs Leben – meist Hunde, aber auch Ratten, Mäuse oder Frettchen und selten auch Katzen. Für ihre Zuneigung und Wärme teilen die Menschen mit ihnen das wenige, was sie haben. Dafür stecken sie selbst zurück, beispielsweise, was die Gesundheitsversorgung betrifft. Das zeigt eine wissenschaftliche Befragung aus den USA.

Obdachlosigkeit trifft Krankheit

Wohnungslosigkeit geht mit schlechter Gesundheit einher. Im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung sind die Zahlen von Entzündungskrankheiten, psychischen und psychiatrischen Störungen, Geschlechtskrankheiten und Suchtproblemen deutlich höher. 

Zugleich sind die Hürden hoch, medizinische Behandlung anzunehmen, sei es aus Scham oder aus Angst vor abfälligen Blicken und Zurückweisung. Zwar gibt es Praxen, die auf obdachlose Menschen eingerichtet sind. Die Zugangsschwelle ist niedriger, dennoch muss man aus eigenem Antrieb hingehen – und das Tier muss in der Regel draußen bleiben. Das kann die obdachlosen Halter vom Arztbesuch abhalten.  

Forscher um die Medizinethnologin Vickie Ramirez von der Universität von Washington liefern hierzu Studiendaten. Die Wissenschaftler haben wohnungslose Tierhalter befragt. Die Interviews drehten sich darum, wie die Obdachlosen ihre eigene Gesundheit und die ihrer Tiere einschätzen, was sie antreibt oder hindert, ärztliche Hilfe zu suchen, und welche Gesundheitsangebote sie sich wünschen. Teilgenommen haben 44 wohnungslose Frauen und Männer im Alter von 15 bis 66 Jahren mit insgesamt 53 Tieren, am häufigsten Hunden, aber auch Katzen.

Das Tier steht an erster Stelle

Demnach ist die Sorge um das eigene Tier größer als um sich selbst: 93 Prozent der befragten Personen gaben an, im Jahr zuvor tierärztliche Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Nur 85 Prozent waren selbst beim Arzt. 

Dabei litten fast alle Studienteilnehmer unter mindestens einer Krankheit wie Depressionen oder Angststörungen, gefolgt von Krankheiten der Haut, Atemwege, Nerven und Augen sowie des Herz-Kreislauf-Systems. Dennoch bezeichneten sich die meisten selbst als „einigermaßen gesund“. Die Tiere indes wurden als „sehr gesund“ eingeschätzt.

Ähnlich verhält es sich rund um das Interesse an Gesundheitsangeboten. Während 61 Prozent auf eine medizinische Versorgung ihres Tieres Wert legen, tun das nur 43 Prozent, was die eigene ärztliche Behandlung betrifft. Einige der Befragten stellten sogar eigene wichtige Klinikaufenthalte zurück, weil sie für die Tiere in dieser Zeit keinen Betreuungsplatz hatten. 

Praxen für Mensch und Tier

Wünschenswert wäre für die Befragten eine Praxis, die Mensch und Tier gleichzeitig ärztliche Hilfe bietet. So könnte ein Tierarztbesuch die Halter animieren, auch sich selbst durchchecken zu lassen. Gerade die Personen, die zugunsten der Betreuung ihrer Tiere auf die eigene Behandlung verzichtet hatten, fanden diese Idee attraktiv. Ein solcher One-Health-Ansatz könnte somit ein Schritt zu mehr Gesundheit auf der Straße sein – für Mensch und Tier zugleich.

University of Washington l Hans J. Rosling Center for Population Health l Department of Environmental and Occupational Health Sciences l Dr. Vickie Ramirez l ramirezv@uw.edu