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Mittwoch, 26. Juni 2024

Aus der Bodenhaltung in den huhngestützten Besuchsdienst

Ein neues Leben für die Henne Mini: Ein Tierschutzverein übernahm sie aus einem Bodenhaltungsbetrieb und brachte sie zur Erziehungswissenschaftlerin Lisa Bost. Heute bezaubert Mini die Menschen, denen sie im Rahmen eines Tierbesuchsdienstes begegnet.

Mini hat ein weiches, rot-braunes Gefieder und einen freundlichen Blick. Neugierig und zutraulich geht sie auf die Menschen zu, die Lisa Bost mit ihren Hühnern in sozialen Einrichtungen besucht. Mit ihrer unverkennbaren Flötenstimme scheint sie Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen. Die kleine Henne hat viel zu berichten.

Huhn mit Lebenserfahrung

Minis zweites Leben ist schön. Sie gehört zu Bosts Team von Hühnern, die für den Einsatz in tiergestützten Interventionen ausgewählt wurden. „Viele meiner Tiere haben wie Mini eine bewegte Vergangenheit und kommen aus dem Tierschutz“, sagt Lisa Bost. „Mit viel Fingerspitzengefühl wurden sie für die tiergestützte Arbeit ausgebildet und bereichern mein Team durch ihre Lebenserfahrung.“ Dass Mini einmal in sozialen Einrichtungen ein und ausgehen würde, war nicht abzusehen. Ihr erstes Lebensjahr verbrachte sie als Legehenne in einem Bodenhaltungsbetrieb. Mit einem Jahr sind viele dieser Tiere sehr ausgemergelt, nach etwa 18 Monaten gehen sie in den Gefiederwechsel und legen während dieser Zeit weniger. Sie werden dann üblicherweise zu einem Schlachthof gebracht und durch Jungtiere ersetzt. Etwa 50 Millionen Legehennen werden jedes Jahr nach Angaben des Vereins „Rettet das Huhn“ in Deutschland geschlachtet. 

Reise in ein neues Leben

Die kleine Mini hingegen war eines von etwa 15.000 Tieren, die der Verein „Rettet das Huhn“ jährlich aus unterschiedlichen Betrieben bundesweit kostenlos übernimmt. Denn für die Hühnerfarmen ist es ein Nullsummenspiel: „Grundsätzlich haben die Tiere in der Wirtschaft noch einen sehr geringen ‚Schlachtwert‘ von 20 bis 50 Cent pro Tier“, heißt es beim Verein. „Allerdings hebt sich dieser Gewinn für die Betriebe durch Kosten und Aufwand für die Ausstallung und den Transport zum Schlachthof auf. Somit entsteht für den Betrieb weder Gewinn noch Verlust, wenn er uns die Tiere kostenlos überlässt.“

Mit diesem Handel begann für die ausgewählten Hühner ihr zweites Leben. Einen Tag vor dem Transport zum Schlachthof kamen die Vereinsmitglieder und nahmen Mini und den restlichen Bestand mit, um sie in liebevolle Hände zu vermitteln. Mini war eine besonders kleine, schwache und fast federlose Henne. Deshalb blieb sie bei Lisa Bost und wurde dort aufgepäppelt.

Schlüsselerfahrungen für Kinder

In ihrem neuen Leben hat Mini eine sinnstiftende Beschäftigung in der huhngestützten Intervention mit Lisa Bost. Die Fachkraft für tiergestützte Interventionen fährt mit ihrem gefiederten Team zu Schulen, Kindergärten, Ferienfreizeiten oder Kinder- und Jugendfarmen. Durch den Kontakt mit Mini und ihren Freunden lernen die besuchten Kinder, dass Hühner fühlende Individuen sind. 

„Dies kann eine Schlüsselerfahrung sein, die Empathie und Wertschätzung fördert sowie andere Vorurteile hinterfragbar macht“, beschreibt Bost die Effekte ihrer Arbeit. Die lebensfrohe Mini sei der wandelnde Beleg, wie einzigartig jedes Huhn ist – genauso wie menschliche Persönlichkeiten. „Damit legen wir den Grundstein für eine oft heilsame Beziehungsarbeit“, sagt Bost. 

Zugleich ist Mini in den Einsätzen laut ihrer Halterin „die Expertin für Ethik und eine zukunftsfähige Mensch-Tier-Beziehung“. Denn ihre Geschichte zeige, wie wichtig es in der hühnergestützten Intervention ist, über die Hintergründe der Tierhaltung zu sprechen. „So stellen wir Fachkräfte uns aktiv gegen Entfremdung und Objektivierung dieser wertvollen Tierpersönlichkeiten“, erklärt Bost. „Wenn wir mit Hühnern arbeiten, sind wir auch Botschafterinnen für diese Tiere ohne Stimme.“ 

Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Lisa Bost ihre gefiederten Mitbewohner viel beobachtet und die Charaktere ihrer Hühner genau kennt. Das bedeutet für die Erziehungswissenschaftlerin: „Bei mir leben nur so viele Hühner, wie ich auch individuell versorgen kann.“ Das sind aktuell 14 Tiere, denn: „35 anonyme braune Legehennen hinter dem Zaun bestätigen vielmehr das Bild der anonymen Masse, anstatt es aufzulösen.“

Lisa Bost | hallohuhn@remove-this.lisa-bost.de | www.lisa-bost.de
 

Zuhause für Legehennen gesucht
Wer Interesse hat, Hühner aus einem Legebetrieb aufzunehmen, findet unter www.rettet-das-huhn.de Informationen zu Tieren im Vermittlungsprozess. Tausende Hennen und viele Hähne warten in Pflegestellen auf ein neues Zuhause, das eine artgerechte Haltung ermöglicht.
Zur Vorbereitung auf die neuen gefiederten Mitbewohner bietet Lisa Bost verschiedene Seminare und Beratungsmöglichkeiten zur Hühnerhaltung sowie zu huhngestützten Interventionen. Termine und Preise finden sich auf ihrer Website unter www.lisa-bost.de