Beitrag Mensch&Tier

Tierärztin Anette Quandt mit ihrer Supernase Holly. Foto: © Anette Quandt / DRK

Freitag, 01. April 2022

Auf Spurensuche mit Holly

Mantrailer sind die Stars unter den Spürhunden – sie können sogar Geruchsspuren verfolgen, die mehrere Tage alt sind. Eine dieser Supernasen ist die Vizsla-Hündin Holly aus Greifswald, die für das Deutsche Rote Kreuz verschwundene Menschen sucht. Ein Porträt.   

Es wimmelt vor Gerüchen im Seniorenheim. Holly sitzt im Zimmer eines verschwundenen Mannes. Sie soll hier seine Spur aufnehmen – durch Flure, die der Mann täglich durchquert, durch einen Park, in dem der Mann täglich spazieren geht. Holly muss also die frischeste Geruchsspur finden, deren Geruchspartikel in der Luft, am Boden und an Gegenständen in der Umgebung liegen. Hundeführerin Anette Quandt hält ihr einen Hut vor die Nase. Sie hat ihn ausgesucht, weil der Mann ihn täglich trägt und sein Individualgeruch daran haftet. Jetzt ist der über Achtzigjährige ohne Hut unterwegs – nur mit Hausschuhen und ohne Jacke. Es ist ein kalter Oktobertag, der Mann ist seit über zehn Stunden weg und eine frostige Nacht im Freien wird er möglicherweise nicht überleben.

Wenn Anette Quandt und ihre Hündin zu Polizeieinsätzen gerufen werden, geht es oft um Leben und Tod. Holly ist in Mecklenburg-Vorpommern einer von insgesamt nur drei Mantrailern der Hilfsorganisationen – also Individual-Personen-Spürhunden, die mehrere Tage alten Gerüchen  folgen können. Selbst wenn Personen mit dem Fahrrad oder langsam mit offenem Fenster im Auto unterwegs sind, können talentierte Hunde die Spuren verfolgen. „Je länger ich das mache, desto faszinierter bin ich davon“, sagt Hollys Hundeführerin, die Tierärztin Anette Quandt. Sie ist die Leiterin der Rettungshundestaffel Ostvorpommern-Greifswald im Landesverband Mecklenburg-Vorpommern des Deutschen Roten Kreuzes und bereits seit 1991 ehrenamtlich im Rettungshundewesen engagiert.

Holly hat eine frische Fährte aufgenommen, sie folgt der Spur des Verschwundenen mit der Nase am Boden aus dem Gebäude heraus. Die Hündin läuft mehrere Kilometer zielsicher bis zu einem Zaun, hinter dem ein alter DDR-Flughafen liegt. „Hier kann der Mann nicht sein“, wendet der Einsatzleiter der Polizei ein, „der gesamte Flugplatz ist eingezäunt und wir haben das Gelände von oben mit einem Helikopter abgesucht.“ Aber Holly lässt nicht locker. Sie läuft am Zaun auf und ab und steckt die Nase hindurch. Sie will auf das Gelände.

Im Einsatz sind Anette Quandt und ihre Hündin ein eingespieltes Team. Das müssen sie auch sein. Ganz allein kann kaum ein Mantrailer einen verschwundenen Menschen finden: Bei vielen Sucheinsätzen ist die Spur mehrere Tage alt, der Wind trägt die Gerüche weg, Autos verwirbeln sie und Wasser zieht Gerüche an – es gibt so viele Unwägbarkeiten. Der Hundeführer muss all diese Fakten kombinieren und interpretieren, was sein Hund ihm anzeigt. „Der Job des Hundes ist nicht unbedingt, einen Menschen zu finden“, erklärt Quandt das komplexe Geschehen. „Er soll anzeigen, in welche Richtung die frischeste Spur führt, um das Suchgebiet einzugrenzen. Den Rest kombiniere ich gemeinsam mit der Polizei.“

Im Falle des verschwundenen Seniors ist die Faktenlage für Anette Quandt klar. Holly will durch den Zaun auf das Gelände des alten Flughafens. Der Mann hat hier früher zu DDR-Zeiten gearbeitet, kennt also das Terrain. Im hinteren Teil des Areals liegt ein kleiner See – vielleicht hält sich der Mann dort auf, in Erinnerung an alte Zeiten? Quandts Intuition lässt sie den Einsatzleiter der Polizei überreden, das Gelände noch einmal mit dem Helikopter abzusuchen. Und tatsächlich – am Ufer des Sees liegt der alte Mann, stark unterkühlt. Aber er lebt.

„In diesem Fall habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt“, erinnert sich Anette Quandt. „Dass die Polizei sich auf meine und Hollys Intuition verlassen hat, hat dem Gesuchten aber das Leben gerettet.“ Solche Momente sind sehr emotional und eine wundervolle Belohnung für die harte Arbeit, die durchwachten Nächte im Einsatz und viele Suchaktionen, die nicht so glücklich enden.

Elisabeth Köhne l Deutsches Rotes Kreuz l Referentin für Wasserwacht und Rettungshundearbeit l 030 854 044 90 l E.Koehne@drk.de l www.drk.de